Skala der AusbildungÜber den Rücken gehen
An den HilfenAm ZügelDurchs GenickMaultätigkeit
StellungBiegungNatürliche SchiefeBergaufgalopp
Geschlossen StehenVerwerfen im Genick

Über den Rücken gehen

Anatomische Grundlagen

Pferde sind von Natur aus nicht dafür geschaffen Lasten zu tragen. Das verrät schon ihr Skelett. Die Wirbelsäule hängt quasi wie eine Hängebrücke zwischen den Vorder- und Hinterbeinen. Wird der Rücken durch das Gewicht des Reiters belastet, gibt die Wirbelsäule nach.

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Vom Hinterhaupt über den Widerrist bis zum Schweif verläuft die sogenannte «obere Verspannung», die aus dem Nackenband (Hinterhaupt – Widerrist) und dem Rückenband (Widerrist – Schweif) besteht. Die Verspannung zieht sich dann noch weiter bis hinunter zu den Fesseln der Hinterhand. Senkt das Pferd Kopf und Hals, übt es Zug auf das Nacken-/Rückenband aus. Dadurch wird der vordere Teil des Rückens angehoben.
Um den Rücken unter dem Reitergewicht nun wieder in die Normalstellung zu bringen, muss das Pferd seinen Kopf senken. Beachte, wie die Halswirbelsäule des Pferdes S-förmig geschwungen ist! Wenn es Kopf und Hals vorwärts-abwärts streckt, wird das S auseinandergezogen; Die Halswirbelsäule wird länger, wodurch das Nackenband gespannt wird.

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Ein junges oder untrainiertes Pferd hebt seinen Rücken vor allem mit Hilfe der oberen Verspannung. Im Verlauf der Ausbildung entwickelt es jedoch Muskeln am Oberhals, die das Nackenband bei dieser Aufgabe unterstützen können. Ein wichtiger dieser Muskeln ist der «Muskulus Serratus», der das Dreieck zwischen den Dornfortsätzen des Widerrists und der Halswirbelsäule gemeinsam mit einigen anderen Muskeln ausfüllt. Senkt das Pferd Kopf und Hals vorwärts-abwärts, wird dieser Muskel gedehnt und zieht so die Dornfortsätze am Widerrist nach vorne – der Rücken wird angehoben. Hier ist es wichtig zu wissen, dass es für einen Muskel anstrengender ist, in die Länge zu arbeiten, also sich zu dehnen, als sich zusammenzuziehen. Da sich der Muskulus Serratus beim jungen Pferd ja erst entwickelt, kann es noch nicht so lange in Dehnungshaltung gehen. Der Muskel ermüdet nach einer gewissen Zeit und beginnt zu schmerzen. Das Pferd nimmt dann den Kopf hoch, damit er sich zusammenziehen und erholen kann. Am besten pariert man in diesem Fall zum Schritt durch und lässt die Zügel lang bis das Pferd den Kopf von alleine wieder senkt.

So weit so gut. Das ist der Punkt, an dem einige Reiter beginnen, ihr Pferd absichtlich hinter den Zügel zu reiten, weil sie sich dadurch noch ein wenig Extra-Dehnung erhoffen.

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Nun soll aber nicht der Eindruck entstehen, es genüge, wenn das Pferd den Kopf tief halte. Wichtig ist, dass das Pferd mit den Hinterbeinen möglichst weit unter seinen Körper in Richtung Schwerpunkt tritt. Warum? Im Grunde genommen ist es dasselbe Prinzip, wie wenn du eine Gerte oder eine Weidenrute biegst. Tritt das Pferd nicht unter, wird das Rückenband bei gesenktem Kopf zwar nach vorne gezogen; Es fehlt jedoch der Zug am hinteren Ende, der dazu führen würde, dass sich der Pferderücken aufwölbt und dass in der Folge die Dornfortsätze voneinander weg zeigten. Das Pferd geht ohne Spannung, schwunglos und schwerfällig auf der Vorhand. Ohne aktive Hinterhand geht nichts! Alleine durch Zug am Nackenband können nur gerade die ersten paar Dornfortsätze am Widerrist nach vorne gezogen werden. Das Pferd muss aber seinen Rücken aufwölben und dazu ist auch Zug am hinteren Ende vonnöten. Und dazu ist die Hinterhand wie geschaffen.

Kräftige Muskeln verbinden die Lendenwirbelsäule mit dem Becken und dem Oberschenkelknochen des Pferdes. Bei jedem Schritt ziehen sie sich zusammen und bewirken damit eine Wölbung des Rückens. Die Muskeln in der Hinterhand sind viel besser für diese Aufgabe geeignet als die des Halses weil sie kräftiger sind, weil das Pferd sie bei jedem Schritt schon von selber aktiviert und weil durch das wechselweise An- und Abspannen kein Dauerzug oder Krampf entsteht. Wenn das Pferd für den Moment den Kopf noch in natürlicher Haltung trägt aber den Bogen von hinten spannt, so wird es früher oder später auch den Hals fallen lassen und den ganzen Rücken aufwölben. Solange jedoch die Hinterhand nicht aktiv ist, wird das Pferd seinen Schwerpunkt immer auf der Vorhand haben und selbst wenn es den Hals noch so tief nimmt (oder wenn es sogar dazu genötigt wird, ihn nach rückwärts zu krümmen) kann es nicht über den Rücken gehen und blockiert sogar noch seine Hinterhand. Deshalb kommt auch in der Skala der Ausbildung als erstes der Takt!

Wichtig

Eine aktive Hinterhand hat nichts mit dem Tempo zu tun, sondern damit, wie weit das Pferd unter seinen Schwerpunkt tritt. Seine Bewegungen sollen lang und ruhig sein, nicht schnell und kurz.

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Tritt das Pferd gut unter und schwingt im Rücken (man kann tatsächlich eine Art «Raupenbewegung» sehen, die von hinten nach vorne durch den Pferderücken fliesst), was nur geht, wenn es ihn aufwölbt, so sagt man das Pferd gehe «rund» oder es gehe «über den Rücken». Dabei geht ein Spannungsbogen von hinten nach vorne aufwärts. Dieser Bogen ist wichtig für die spätere Versammlung, weil die Energie leicht aufwärts gerichtet ist. Je stärker das Pferd die Gelenke der Hinterhand beugt, desto tiefer sinkt die Kruppe und desto mehr richtet sich im Gegenzug die Vorhand auf. Ein Pferd, welches auf der Vorhand geht, wird sich hingegen nicht selber aufrichten können. Es kann allenfalls den Hals nach rückwärts hochnehmen, macht ihn dabei aber nicht mehr lang (Denke an das S!) und wird den Rücken durchdrücken. Dadurch wiederum blockiert es aber seine Hinterbeine erst recht. Das Pferd ist nicht im Gleichgewicht, bewegt sich nicht harmonisch und verspannt sich. Wird ein Pferd über längere Zeit so geritten, bekommt es Schmerzen in Hals und Rücken. Das Durchdrücken des Rückens führt dazu, dass die Dornfortsätze gegeneinander zeigen. Im Extremfall berühren sie sich sogar und reiben aneinander. (Bekannt als «Kissing Spines» = Küssende Wirbel)

Merke

Soll das Pferd den Reiter über längere Zeit unbeschadet tragen und sich im Gleichgewicht bewegen können, muss es gut untertreten und den Rücken harmonisch schwingend aufwölben. Dies fasst man unter dem Begriff «über den Rücken gehen» zusammen.

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Das Pferd ist der Spiegel des Reiters

Ein gut gerittenes Pferd erkennst du schon an seinem Körper. Es macht einen runden Eindruck, Oberhals, Schulter, Kruppe und Oberschenkel sind muskelbepackt, der Rücken geht beidseits der Wirbelsäule gerundet in die Flanken über. Ein schlecht gerittenes Pferd erscheint dagegen eckig. Schulter und Hüftgelenk stehen oft heraus, es hat kaum Muskeln auf der Kruppe und am Oberschenkel. Geht das Pferd mit hochgedrücktem Hals, wölbt sich der Unterhals auch beim entspannt stehenden Pferd mehr oder weniger stark nach aussen. Vor der Schulter ist bei solchen Pferden oft ein richtiggehendes Loch erkennbar. Pferde, die den Rücken festhalten, erkennst du an flachen Partien seitlich der Wirbelsäule.

Die praktische Umsetzung

Die Frage lautet jetzt natürlich: Wie muss man ein Pferd denn nun reiten, damit es über den Rücken geht? Der richtige Weg führt wie immer über die Skala der Ausbildung. In diesem Fall sind vor allem die beiden ersten Punkte von Bedeutung: der Takt und die Losgelassenheit.
Die Zügel fasst du erst mal so lang, dass du leichten Kontakt zum Pferdemaul hast. Bis auf Weiteres bleiben deine Hände so ruhig stehen. Als erstes brauchen wir nämlich den Takt, und dieser wird von den Beinen vorgegeben. Zügelhilfen sind dabei überflüssig wenn nicht sogar störend. Ist der Takt, das gleichmässige Treten, gegeben, wollen wir Losgelassenheit, das Vorwärts-abwärts erreichen. Auch hier können die Zügelhilfen kaum helfen. Du kannst wohl den Pferdekopf mit einigem Kraftaufwand oder durch Riegeln nach unten ziehen, aber dann geht das Pferd nicht losgelassen. Denk wieder an die S-förmige Halswirbelsäule: Ziehst du den Kopf nach unten, wird das S zusammengepresst, es wird also noch kürzer. Länger werden kann die Halswirbelsäule nur, wenn das Pferd den Hals nicht nur abwärts sondern auch vorwärts streckt. Und nach vorne ziehen kannst du als Reiter nunmal nicht. Das Pferd muss von sich aus nachgeben und den Kontakt zum Gebiss suchen!
Ein unverdorbenes Pferd wird denn auch nachgeben, wenn du es bei tendenziell entlastendem Sitz frisch vorwärtsreitest. Grosse Wendungen wie Zirkel und grosse Schlangenlininen in 3 Bogen helfen, das Pferd zu lösen. Dazwischen sollte das Pferd immer wieder geradeaus geritten werden. Verliert das Pferd in den Wendungen an Hinterhandaktivität, so sind die Wendungen zu klein. Die meisten Pferde dehnen sich auch schön über Trabstangen. Wichtig ist eine ruhig stehende, aber weiche Hand, die wenn nötig auch eine Weile entgegenhält. In welchem Moment welche Zügelhilfe nötig ist, lernst du nur durch üben und fühlen.
Sobald das Pferd den Hals auch nur ein bisschen fallen lässt, lobst du es mit der Stimme und gibst mit den Zügeln soweit nach, dass immer noch eine leichte Verbindung zum Pferdemaul besteht. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo sich das Pferd bei aktiver Hinterhand schön vorwärts-abwärts dehnt. Willst du das Pferd wieder «heraufholen», treibst du die Hinterbeine vermehrt an die Hand heran und nimmst einen aufrechteren Sitz ein. Auf keinen Fall darfst du das Pferd allein durch Zügelverkürzen aus der Dehnungshaltung holen, denn dann wird es auf die Vorhand kommen und nicht mehr über den Rücken gehen. Du stoppst dadurch nämlich quasi die Schwingungen, die aus dem Rücken von hinten nach vorne kommen. Stell dir das vor wie eine Hafenmauer, an der sich die Wellen brechen. Die Vorwärts-Abwärts-Tendenz muss bei allen Lektionen und selbst in der Versammlung erhalten bleiben. Das heisst: Auf ein leichtes Nachgeben mit der Hand soll das Pferd jederzeit mit der Nase tiefer kommen und sich leicht vorwärts strecken um wieder an das Gebiss heranzukommen.

Nicht alle Pferde brauchen gleich lange bis sie in schöner Dehnungshaltung gehen. Einige benötigen sogar mehrere Tage oder Wochen bis sie in die Haltung finden. Gründe, die ein Pferd davon abhalten können, in Dehnungshaltung zu gehen sind: Reiterfehler, störender Sitz des Reiters; Schmerzen, oft verursacht durch unpassende Ausrüstung; Angst, Aufregung … Nicht zuletzt ist die Körperhaltung auch Gewöhnungssache: Ein Pferd, das jahrelang nur die falsche Haltung kannte und möglicherweise auch noch mit Gebäudemängeln zu kämpfen hat, wird in der Regel einige Zeit brauchen, um den Weg in die Dehnungshaltung zu finden. Es lohnt sich, bei Schwierigkeiten einen Reitlehrer, Sattler, Tierarzt, Pferdephysiotheraupten/ Chiropraktiker beizuziehen.

Beigezogene Literatur: «Ein Knochenjob», Reiter Revue 5/2003

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